Der Papua Blog

Die Entdeckung Papuas

Über Kolonisten und Abenteurer

Text von Marc Weiglein, Fotos von Marc Weiglein und anderen

euguinea war eine der letzten terra incognita unseres Planeten. Die Entdeckung Neuguineas erfolgte schrittweise und langsam, so als wollte das Land seine Geheimnisse nicht mit der Welt teilen. Auf Landkarten aus den 70er und 80er Jahren waren noch große Teile des Landes als weiße Flecken bzw. mit „insufficient data“ beschrieben. Einige Geschichten der ersten Entdecker sind weltbekannt und faszinieren bis heute jeden Zuhörer. Diesen Geschichten wollen wir uns in diesem Artikel widmen. Aber zuvor ein kurzer Blick auf die Anfänge.

Wann beginnt die Entdeckung Papuas?
Wie viele andere Entdeckergeschichten beginnt auch die Geschichte der Entdeckung Papuas mit der Tatsache, dass im Europa des 16. Jahrhunderts ein Gramm Nelken teurer war, als ein Gramm Gold. Die europäischen Königreiche entsandten unzählige Schiffsexpeditionen rund um den Globus, und besonders die Inseln des heutigen Indonesiens – reich an Pfeffer, Nelken, Zimt – waren unglaublich wertvoll.

So waren es auch Europäer, Portugiesen, um genau zu sein, die im Jahr 1526 auf ihrem Weg zu den Molukken erstmals nachweislich an der Küste Neuguineas vorbeisegelten. Man ging damals nicht an Land, aber diese erste Erwähnung Papuas ebnete den Weg für weitere europäische Expeditionen.
Die Legende besagt, dass Papua seinen Namen von den Portugiesen oder Spaniern erhielt. Sie bezogen sich auf das einheimische Wort „papu“, was „kraus“ bedeutet und das Haar der Einheimischen beschreibt.

Im Jahr 1793 versucht das Britische Empire erstmals eine Kolonisierung Neuguineas auf dem westlichen Teil der Insel. Der Versuch schlägt fehl und die Briten ziehen wieder ab. Erst im Jahr 1828 gelingt den Niederlanden eine dauerhafte Kolonisierung einiger Küstenregionen Papuas. Papua wird Teil Niederländisch-Indiens, dem Vorläufer des heutigen Indonesiens. Die bis heute bestehende Grenze zwischen dem westlichen und östlichen Teil Neuguineas ist ein Relikt aus der Kolonialzeit. Während der westliche Teil Neuguineas seit 1828 von den Niederlanden beansprucht wurde, wurde ab 1884 das nordöstliche Viertel von Neuguinea von Deutschland und das südöstliche Viertel von Großbritannien beansprucht. 1895 unterzeichneten Großbritannien und die Niederlande schließlich einen Grenzvertrag. Die damals festgelegte Grenze, die kerzengerade durch die Mitte der Insel verläuft, hat bis heute Bestand.
Für eine kurze Erklärung der Termonologien, lesen Sie gerne unseren Blogeintrag: Papua, West Papua, PNG…

Neuguinea, eine Insel für Entdecker
Neuguinea war nicht nur für Kolonialherren und Händler interessant, sondern hat auch schon früh die Neugier von Entdeckern und Forschern geweckt. Zumal man betonen muss, dass die Kolonien lediglich an den Küsten existierten, während das gesamte Landesinnere noch für lange Zeit ein Mysterium blieb.

Neuguinea hat zum einen eine extrem reiche Flora und Fauna. Aber nicht nur das! Auch ethnisch und kulturell ist Neuguinea einzigartig. Die Vielfalt an Sprachen und isolierten Kulturen ist höher als irgendwo sonst auf der Welt. Wir können daher nicht einmal von einer „papuanischen Kultur“ sprechen. Jedes Gebiet beherbergt verschieden Stämme; jeder Stamm hat eine eigene Sprache, eigene Traditionen, Überzeugungen, Rituale. Für Neuguinea wurden insgesamt über 300 eigene Sprachen (!) identifiziert. Viele dieser Sprachen werden nur von ein paar tausend, wenn nicht sogar nur von ein paar hundert Menschen gesprochen.

Die einzigartige Flora und Fauna und die kulturelle Vielfalt, gepaart mit der extremen Isolation der Insel, waren für Entdecker und Forscher sehr schnell von sehr großer Anziehungskraft. Und dann war da auch noch die Geschichte von Jan Carstensz.

Mann auf Gletscher mit Carstensz Pyramide im Hintergrund
Eis und Schnee am Äquator - Ein Gletscher der Carstensz Pyramide

Jan Carstensz – der Mann, der Schnee gesehen hat
Über den niederländischen Entdecker Jan Carstensz ist nicht viel bekannt. Wir wissen, dass er zu der niederländischen Ostindien-Kompanie (auch VOC – Vereenigde Oost-Indische Compagnie genannt) gehört und in Ambon auf den Molukken stationiert ist, als ihn die VOC 1622 beauftragt, eine Expedition in die Gewässer von Neuguinea zu leiten.

Carstensz hat den Auftrag, die südliche Küste des „großen Landes Neuguinea“ zu erkunden und die Aufzeichnungen seines Kollegen Willem Janszoon zu verifizieren. Janszoon hatte einige Jahre zuvor, auf einer Expedition entlang der Küste Neuguineas, Australien gesichtet und seinen Arbeitgebern davon berichtet. Fälschlicherweise war Janszoon der Überzeugung, dass Neuguinea und Australien Teile einer zusammenhängenden Landmasse sind (niederländische Karten werden noch viele Jahre mit diesem Fehler gezeichnet).

Die Expedition von Carstensz dauert über ein Jahr lang und ist nicht sonderlich erfolgreich. Bei einem Zwischenstopp an der Küste Neuguineas wird die Besatzung von Eingeborenen angegriffen und mehrere Besatzungsmitglieder kommen ums Leben. Der holländische Entdecker segelt dennoch weiter Richtung Australien und geht dort mehrmals an Land. Auch hier kommt es zu Zusammenstößen mit der einheimischen Bevölkerung. arstensz kann einige der Angreifer gefangen nehmen und beschließt, zwei von ihnen nach Batavia zu bringen, dem früheren Namen von Jakarta, wo die VOC ihren Sitz hat. Als Carstensz kurz davor ist, die Passage zwischen Neuguinea und Australien zu entdecken, trifft er auf Gegenwind und entscheidet sich daraufhin zur Rückkehr.
Außer Ärger mit den Eingeborenen findet Carstensz an der australischen Küste nicht viel. Sein offizieller Bericht fällt daher recht negativ aus und wird noch für einige Zeit eine abschreckende Wirkung für weitere Erkundungen dieser Region seitens der Niederlande haben.
Da Carstensz auf seinen Landgängen nichts von Interesse findet, und da es ihm auch verwehrt bleibt, die Passage zwischen Australien und Neuguinea zu entdecken, wäre seine Expedition fast in Vergessenheit geraten. Aber dazu kam es nicht. Stattdessen steht sein Name heute in den Geschichtsbüchern für eine Entdeckung, die Carstensz auf dem Rückweg gemacht hat und für die er damals in seiner Heimat verspottet und als Narr bezeichnet wurde: Jan Carstensz hatte Schnee gesehen.

Am 16. Februar 1623 stand Carstensz auf dem Deck seines Schiffes und blickte nach Osten, und wie er in seinem Tagebuch festhielt, „befanden wir uns etwa 1½ Meilen vom tiefliegenden Land entfernt, in 5 oder 6 Faden, lehmiger Grund; in einer Entfernung von etwa 10 Meilen nach Schätzung ins Landesinnere sahen wir eine sehr hohe Bergkette, die an vielen Stellen schneeweiß war, was wir für einen sehr einzigartigen Anblick hielten, da es so nahe an der Äquinoktiallinie lag“.

Carstensz bezog sich auf die schneebedeckten Gipfel der Berge Neuguineas die wir heute als Puncak Trikora, Puncak Yamin und Puncak Mandala kennen. Und natürlich den höchsten von ihnen, denjenigen, der jetzt seinen Namen trägt, die Carstensz-Pyramide (Puncak Jaya).

Niemand in Europa konnte sich damals vorstellen, dass es in Äquatornähe schneebedeckte Gipfel geben könnte, und es mussten weitere 200 Jahre vergehen, bis seine Aussage verifiziert werden konnte. Besser spät als nie.

Über 300 Jahre mussten vergehen, bis dem Österreicher Heinrich Harrer die Erstbesteigung der Carstensz Pyramide gelingt.

Gruppe Wanderer vor der Bergkette der Carstensz Pyramide
Eine Expeditionsgruppe auf dem Weg zur Carstensz Pyramide

Heinrich Harrer – Sein Leben in der Steinzeit
Heinrich Harrer erlangte durch zahlreiche Erstbesteigungen rund um den Globus Berühmtheit. Eine seiner größten Errungenschaften bleibt die Erstbesteigung der Carstensz Pyramide, die ihm im Jahr 1962 gelingt. Aber nicht nur das. Er floh auch aus der Gefangenschaft in Britisch-Indien nach Tibet und freundete sich mit dem Dalai Lama an. Harrers Buch „Sieben Jahre in Tibet“ wurde zum Klassiker und zweimal verfilmt.

Die Carstensz-Pyramide ist mit einer Höhe von 4.884 Metern (16.023 Fuß) der höchste Gipfel Ozeaniens und gehört zur berühmten Gruppe der Sieben Summits. Der erste Versuch einer Besteigung durch eine niederländische Expedition im Jahr 1936 schlägt fehl. Die Gruppe konnte sich damals nicht darauf einigen, welcher der drei Gipfel der Bergkette der höchste ist. Man bestieg daraufhin zuerst den Gipfel Ngga Pulu und dann den Gipfel East Carstensz. Beim Versuch den dritten Gipfel, die Carstensz-Pyramide, zu erreichen, gerät die Gruppe in schlechtes Wetter und muss den Rückzug antreten.

Glück für Harrer, der sich 1962 somit als Erster einen Weg durch die Gletscher bis auf den Gipfel bahnt. Dabei war damals, wie bei der niederländischen Expedition zuvor, immer noch nicht klar, dass es sich bei der Carstensz Pyramide tatsächlich um den höchsten Gipfel handelt. Tatsächlich wurde die Carstensz-Pyramide erst 1994 als höchster Gipfel bestätigt und allgemein anerkannt.
Harrer wurde von einem vielfältigen Team begleitet, darunter auch der Geologe Jean Jaques Dozy, der, als er einen seltsam dunklen und grün gefärbten Gipfel erblickte, erkannte, dass es sich um einen Berg aus Gold- und Kupfererz handeln muss. An dieser Stelle wird später die größte Goldmine der Welt entstehen.

Bis heute wurde die Carstensz Pyramide nicht von vielen Bergsteigern erobert. Und das liegt nur zum Teil daran, dass von 1995 bis 2005 der Zugang ins Gebiet untersagt war. Auch nach der Öffnung ist ein langwieriges Genehmigungsverfahren nötig und die Besteigung selbst ist äußerst anspruchsvoll.

Das oben genannten „Sieben Jahre in Tibet“ ist Dank der gleichnamigen Verfilmung mit Brad Pitt das bekanntestes Buch Harrers – aber bei weitem nicht das einzige! Harrer hat seine Abenteuer in über 20 Büchern festgehalten und gerade auch seine Werke über die Expeditionen in Papua wurden zu Klassikern. Besonders hervorzuheben ist das „Ich komme aus der Steinzeit“ über Harrers Besteigung der Carstensz Pyramide.

Aber Heinrich Harrer hat in Neuguinea nicht nur die Carstensz Pyramide bestiegen.

Weitere Expeditionen, viele mit absolutem Pioniercharakter, bringen Harrer als einen der ersten Ausländer unter anderem ins Baliem Valley und in das Gebiet der Asmat. Monatelang schlägt sich Harrer durch die brutale Wildnis. Er erkrankt schwer, stürzt, bricht sich 32 Knochen im ganzen Körper, kommt nur knapp mit dem Leben davon, nur um einige Zeit später erneut in den Urwald aufzubrechen. Auch über diese Abenteuer finden sich spannende Geschichten mit präzisen Erläuterungen der damaligen Gegebenheiten in den Publikationen Harrers.

Aber Harrer war nicht der einzige bekannte Name, der sich in den 1960er Jahren ins Neuguinea-Abenteuer stürzt. Ein junger Mann mit einem wesentlich berühmteren Namen war zu dieser Zeit ebenfalls in Neuguinea unterwegs. Im Gegensatz zu Harrer wird er die Insel nicht lebend verlassen. Sein Name: Michael Rockefeller.

Interesse an einer Expedition zur Carstensz Pyramide? Wir sind seit Jahren einer der zuverlässigsten Anbieter für den berühmten Summit. Wir verkaufen die Reise nicht nur, wir führen sie auch selbst durch! Hier geht’s zum Programm: Carstensz Pyramide Expedition

Heinrich Harrer und der junge Dalai Lama sitzend
Harrer und der junge XIV. Dalai Lama in Lhasa (c) Völkerkundemuseum Uni Zürich
Rockefeller
Michael Rockefeller während seiner Zeit im Asmat (c) Rockefeller Foundation

Michael Rockefeller und seine gefährliche Liebe zur primitiven Kunst
Wurde Michael Rockefeller von den Kannibalen der Asmat getötet, zerstückelt und verspeist? Was sich nach einem Hollywood-Drehbuch anhört, könnte tatsächlich passiert sein. Die Akte Rockefeller ist seit 60 Jahren ein Mysterium und es scheint zunehmend unwahrscheinlich, dass es jemals eine eindeutige Erklärung für das spurlose Verschwinden Rockefellers geben wird. Niemand kennt die Wahrheit bzw. niemand möchte darüber sprechen…

Michael Rockefeller ist 22 Jahre alt, als 1960 sein Vater Nelson Rockefeller, amtierender Gouverneur von New York, für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten kandidiert. Als Rockefeller ist Michael Teil der damals wohlhabendsten und mächtigsten Familie der Welt. Michaels Eltern sind Taktgeber der New Yorker Oberschicht und bedeutende Kunstmäzen. Für Michaels späteres Schicksal von großer Bedeutung ist die Eröffnung des Museum of Primitive Art im Jahr 1957 durch Vater Nelson Rockefeller. Nelson ist ambitionierter Sammler der sogenannten „primitiven Kunst“ und möchte seine Sammlung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Das Museum of Primitive Art ist das erste namhafte Museum seiner Art und wird wesentlich dazu beitragen, die allgemeine Auffassung über primitive Kunst nachhaltig zu beeinflussen. Was zuvor als „Plunder“ abgetan wurde, wird plötzlich zu einer eigenständigen, wertvollen Kunstform, die es verdient, in Manhattan ausgestellt zu werden. Ein Meilenstein moderner Kunstgeschichte!

Michael ist ein guter Student an der Harvard-Universität, und seine Familie erwartet von ihm, dass er nach seinem Abschluss eine Karriere im Finanzwesen startet. Aber Michael ist auch fasziniert von der rohen Kunst aus aller Welt, die im Museum seines Vaters zu bewundern ist. Er wird alsbald in den Vorstand des Museums berufen und 1961 führt ihn die ererbte Leidenschaft und sein Abenteuerdrang schließlich nach Papua. Auf seiner ersten Reise nach Neuguinea begleitet er seinen Studienfreund, den Filmemacher Robert Gardner, um als Toningenieur bei dessen Filmprojekt Dead Birds zu arbeiten. Für 6 Monate werden die Dani-Stämme des Baliem-Tals dokumentiert und Michael ist hautnah dabei. Als eine Drehpause ansteht, reist Michael erstmals in das Gebiet der Asmat im Südwesten Papuas. Bei einem Treffen mit dem Direktor des niederländischen Nationalmuseums für Völkerkunde hört Michael von der einzigartigen Schnitzkunst der dortigen Kopfjägerstämme. Sein Interesse ist geweckt.

Als die Dreharbeiten im September enden, kehrt Michael in die USA zurück, um nur einen Monat später erneut nach Neuguinea aufzubrechen. Wie es sich für einen Rockefeller gehört (und wohl auch, um seinen übermächtigen Vater zu beeindrucken), hat Michael diesmal große Ambitionen: Aus dem Asmat will er für das Museum seines Vaters die größte Kollektion primitiver Kunst zurückbringen, die es je gegeben hat.

So landet Michael Rockefeller Ende 1961 schließlich auf einem Katamaran in der Arafura-See, begleitet von seinem Freund, dem Anthropologen René Wassing, und zwei einheimischen Papuas, mit der Absicht, diese erstaunlichen Asmat-Holzschnitzschilde, Paddel, Statuen oder sogar diese faszinierenden, mehrere Meter hohen Ahnenpfähle zu kaufen, die er zuvor auf einer Erkundungsfahrt gesehen hat.

Die Gruppe segelt entlang der Südküste und besucht mehrere Dutzend Asmat-Dörfer. . Über diese „Einkaufsfahrt“ ist überliefert, dass Michael zu gierig und zu ehrgeizig ist und oftmals das Wichtigste verpasst. Er versucht nicht, die Kultur der Asmat, die Bedeutung ihrer Kunst zu verstehen. Er sieht nur die Schönheit der Kunst und möchte so viel wie möglich davon erwerben und auf schnellstem Weg in die Heimat schicken. Eventuell ist es auch diese Kurzsichtigkeit, die ihm später zum Verhängnis wird.

Neben den Ahnenpfählen und Holzschilden sind es auch gerade die Kopfjagd-Trophäen der Asmat, die bei Rockefeller ein besonderes Interesse wecken. Der junge Mann bietet große Belohnungen für jeden Schädel, den man ihm bringt. Bei den niederländischen Beamten sind Michaels Bemühungen nicht beliebt, da sie die Kopfjagd unter den Asmat erneut entfachen. Ein Beamter berichtet:
„Rockefellers Präsenz führt zu einem enormen Anstieg des lokalen Handels, insbesondere die Nachfrage nach schön bemalten, erhaltenen Köpfen ist gestiegen.“
Soll heissen: Die Asmat gehen auf Kopfjagd, um die neu erbeuteten Schädel bei Rockefeller gegen Macheten und Tabak einzutauschen. Michael sammelte Dutzende von Stücken.

Michaels Reise endet abrupt, als am 18. November 1961 sein hölzerner Katamaran auf einer Fahrt zwischen den Küstendörfern Agats und Atsj aufgrund starken Wellengangs kentert. Rockefeller, Wassing, und die beiden einheimischen Begleiter (zwei Burschen im Teenageralter) treiben steuerlos Richtung offenes Meer. Die beiden Papuas verstehen die Lage sofort und schon kurz nach dem Unglück schwimmen sie in Richtung Ufer, um dort nach Hilfe zu suchen. Rockefeller und Wassing bleiben auf dem gekenterten Katamaran zurück. Die Nacht bricht herein und vergeht. Der nächste Tag beginnt und vergeht. Rockefeller geht bald davon aus, dass es die Papuas nicht geschafft haben. Er wird unruhig und überlegt, selbst ans Ufer zu schwimmen. Das Ufer ist zu diesem Zeitpunkt noch sichtbar, aber jede Stunde scheint es weiter entfernt zu sein. Entgegen der Meinung seines Kameraden trifft Rockefeller die Entscheidung, bis zur Küste zu schwimmen, die seiner Einschätzung nach 8 Kilometer (5 Meilen) entfernt ist. Mit einem leeren Benzinkanister um die Hüfte gebunden verlässt Michael den Katamaran und schwimmt los.

Es ist das letzte Mal, dass er offiziell gesehen wird.

Gruppe Asmat mit Federschmuck sitzend im Männerhaus
Asmat aus dem Dorf Otsjanep (2018)
Asmat Ahnenpfahl Holzschnitzerei
Ein Ahnenpfahl der Asmat

Rockefellers Leiche wird auch heute noch vermisst. Die Behörden kamen zu dem Schluss, dass Michael beim Schwimmen in Richtung Küste starb. Wahrscheinlich ist er ertrunken oder wurde von einem Krokodil angefallen, so damals die offizielle Erklärung.

Aber einige Zeugenaussagen, die geheim gehalten wurden, erzählen eine andere Geschichte über den Tod von Michael Rockefeller.
Die 2 Papuas konnten tatsächlich das Ufer erreichen und Hilfe holen. René Wassing wird einige Stunden nach Michaels Aufbruch endlich gerettet. Da die niederländischen Behörden und die Familie Rockefeller schnell über das Verschwinden von Michael Rockefeller informiert werden, patrouillieren schon kurze Zeit später Boote, Flugzeuge und Hubschrauber entlang der Südküste, um nach Michael zu suchen. Die australische Marine, und später die amerikanische Marine unterstützen die Suche. Auch werden mehrere tausend Einheimische damit beauftragt, zu Fuß oder per Einbaum die sumpfigen Mangrovenwälder entlang der Küste abzusuchen. Nelson Rockefeller chartert eine Boeing-Maschine von New York aus, um mit seiner Tochter und einer Gruppe Journalisten über die Papua-Insel Biak nach Merauke zu reisen, wo der Ermittlungsstab eingerichtet wird.

Die Arafura-See ist ein seichtes, schlammiges Meer mit einer hohen Wassertemperatur und die Suchtrupps haben die Hoffnung, Michael noch lebend finden zu können.
Aber alle Bemühungen bleiben erfolglos. Man findet zwar den leeren Benzinkanister, aber von Michael selbst, tot oder lebendig, gibt es keine weitere Spur. Nach 10 Tagen beschließt die Familie, die Suche nach Michael einzustellen, und sie kehren hoffnungslos in die USA zurück.

Die Geschichte endet offiziell hier, aber das Verschwinden des Sohnes des reichsten Mannes der Welt wurde nach der Abreise der Rockefellers weiter untersucht, mit beunruhigenden Ergebnissen.

Der erste, der sich auf Geheiß der niederländischen Regierung auf die Suche nach weiteren Spuren macht, ist der Offizier Wim van de Waal. Rockefeller hatte den gekenterten Katamaran von van de Waal erworben und man kann somit davon ausgehen, dass dieser eine hohe persönliche Motivation hatte, mehr über die Geschehnisse herauszufinden. Außerdem kennt van de Waal die Gegend gut, er ist schon länger vor Ort und spricht die indonesische Sprache. Er verbringt 3 Monate damit, nach Hinweisen zu suchen Seine Untersuchungen bringen Erschreckendes ans Licht. Für van de Waal ist klar, dass Michael Rockefeller von den Asmat getötet und gegessen wurde.

Diese Behauptungen sind kaum zu glauben. Zwar waren die Asmat zur damaligen Zeit zum Teil noch Kannibalen, kriegerisch und aggressiv. Allerdings waren diese Aggressionen niemals gegen Weiße gerichtet. Zu groß war der Respekt vor den modernen Waffen, und zu hoch war das Interesse an den verführerischen Tauschobjekten. Das ausgerechnet ein Rockefeller, noch dazu unbewaffnet und in großer Not, als erster Ausländer seit langem gewaltsam zu Tode kommen könnte, das war einfach nicht zu fassen.

Aber es ist nicht nur van de Waal, der solche Behauptungen äußert. Auch die niederländischen Missionspriester Cornelius van Kessel und Hubertus von Peij berichteten den niederländischen Behörden nur wenige Wochen nach Michaels Verschwinden tatsächlich die gleiche Geschichte. Priester Hubertus von Peij, der seit Jahren in der Gegend der Asmat ansässig ist, war den dortigen Stämmen gut bekannt und wurde von ihnen respektiert. Eines Nachts kamen 4 Asmat-Männer an seine Tür, um dem Priester eine Geschichte zu erzählen. Unter Angabe relevanter Einzelheiten erzählten sie ihm, wie ein weißer Mann mit Brille und ungewöhnlicher Kleidung von den Männern des Asmat-Dorfes Otsjanep getötet wurde.
Dieser Mord soll ein Racheakt gewesen sein. Aber ein Racheakt wofür? Rockefeller war noch nicht lange in der Gegend und er war nur ein harmloser Sammler, der niemals in einen Konflikt mit den Asmat geraten war.

Der Vorfall, auf den sich die Theorie des Racheaktes beruft, liegt bereits 4 Jahre zurück. Damals hatte der niederländische Kolonialgouverneur des Asmat-Gebiets, Max Lepré, eine Razzia gegen die Asmat-Dörfer Omandesep und eben jenes Otsjanep organisiert. Diese beiden Dörfer waren häufig in Kopfjagd und gegenseitige Massaker verwickelt, und Max Lepré plante, sie zu erschrecken und ihre Waffen zu beschlagnahmen. Aber die Dinge wendeten sich zum Schlechten, als Männer aus dem Dorf Otsjanep zum Angriff übergehen, und daraufhin einige der einflussreichsten und mächtigsten Männer des Dorfes von Lepre und seiner Mannschaft erschossen werden. Im Universum der Asmat müssen solche Taten gerächt werden, da die Geister der Toten ansonsten den Hinterbliebenen das Leben zur Hölle machen. Und 4 Jahre später müssen die Geister dieser Männer immer noch gerächt werden.

Carl Hoffman, Autor von Savage Harvest: A Tale of Cannibals, Colonialism, and Michael Rockefellers Tragic Quest For Primitive Art, reiste mehrere Male nach Papua, verbrachte mehrere Monate in der Gegend der Asmat und lernte die lokale Sprache, um die Wahrheit zu suchen. Er nimmt die alte Fährte auf und kommt zu ähnlichen Ergebnissen.

Hoffman vermutet, dass Michael in der Nähe des Ufers auf eine Gruppe Männer aus jenem Otsjanep trifft. Er ist hilflos, er ist alleine, und er ist ein Weißer. Für den Akt der Rache ist es in diesem Moment nicht wichtig, dass Michael mit dem Vorfall vor 4 Jahren nichts zu tun hat. Die Chance ist einfach zu gut, sie muss genutzt werden. Die Männer töten den weißen Mann, sie zerlegen ihn rituell, reiben sich mit seinem Blut ein, essen sein Gehirn und sein Fleisch, und teilen seine Knochen untereinander auf. So, wie sie es nach einer erfolgreichen Kopfjagd immer machen.
Einige Bilder, die Michael selbst während seiner früheren Kundschafterreise aufgenommen hat, beweisen, dass er diesen Männern bereits begegnet war. Dies könnte ein weiterer Hinweis darauf sein, dass er tatsächlich bei einem rituellen Racheakt getötet wurde. Tatsächlich nehmen die Asmat nur die Knochen von Menschen, die sie kennen.

Dem Niederländer Wim van de Waal soll es während seiner Ermittlungen sogar gelungen sein, einige von Michaels Knochen zu finden, die nach dessen Tod auf die Männer aus Otsjanep verteilt wurden. Er übergibt sie den niederländischen Behörden als Beweis. Aber wir befinden uns im Jahr 1962, die Übergabe Papuas an Indonesien ist in der Vorbereitung und Nelson Rockefeller kandidiert ein zweites Mal für die US-Präsidentschaft. Weder die Familie Rockefeller noch die niederländischen Behörden haben Interesse daran, dass eine Kannibalismus-Story mit makabren Einzelheiten die weltweite Presse in Beschlag nimmt.
Die Beweise werden geheim gehalten, van de Waal wird zurückgerufen, und die beiden Priester werden von den katholischen Kirche aufgefordert, stumm zu bleiben.

Auch unter den Asmats bleibt die Geschichte tabu. Tatsächlich glauben die Asmat fest daran, dass sie für den Mord an Michael Rockefeller bestraft worden sind. Direkt nach Michaels Tod haben sie zum ersten Mal Hubschrauber gesehen – Ungetüme aus Stahl, die direkt über Ihren Köpfen schwebten! Kriegsschiffe und Flugzeuge suchen nach ihm. In jedem Dorf wird nach ihm gefragt. Rockefeller ist eben nicht irgendein Kolonialbeamter. Was für ein verrückter Zufall! Für die Asmat, die tief in ihren Vorstellungen von Geistern aus der Unterwelt leben, muss es gewirkt haben, als hätten sie durch die Tötung eines Weißen die Tore zur Hölle geöffnet. Von den Hubschraubern und dem ganzen Trubel stark verängstigt, verstecken sich hunderte von Dorfbewohnern tief im Wald. Man möchte den bösen Geistern entkommen.
Und dann wird nur wenige Monate später das Gebiet der Asmat von einer Cholera-Pandemie heimgesucht. Es gab mehr Tote, als ein Asmat je zuvor gesehen hat. Und erneut flogen Hubschrauber über ihrem Gebiet – Hubschrauber der australischen Armee, die versuchten, bei der Bewältigung der Pandemiesituation zu helfen.

Hunderte von Toten, böse Hubschrauber, die ihre Dörfer belästigten – der Schock für die Asmat muss beispiellos gewesen sein. So kamen sie zu dem Schluss: „Wenn du die Geschichte erzählst, wirst du sterben“. Seitdem bleibt die Geschichte unerzählt, bis heute begraben mit den Gebeinen Michaels.

Interesse an einer spannenden Reise in den Asmat? Auf unserer jährlichen Expeditionsreise in den östlichen Küstenasmat folgen wir den Spuren Rockefellers und besuchen auch das berüchtigte Dorf Otsjanep. Hier geht’s zur Reise: Östlicher Küstenasmat Reise

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